Hilfreicher Reiseführer für Ihren agilen Transformationsprozess

Agiler Transformationsprozess

Hilfreicher Reiseführer für Ihren agilen Transformationsprozess

11. Juni 2018

Erfahrungen zeigen, dass nachhaltige Transformationsprozesse nur dann gelingen können, wenn das individuelle Potential der Mitarbeiter und das zwischenmenschliche Potential der Organisation aktiviert wird.

Dieser Artikel zeigt auf, was das bedeutet und stellt ein Modell vor, wie man dieses Thema möglichst ganzheitlich angehen kann.

Beim Versuch, die in der Software-Entwicklung erfolgreichen Methoden auf die Organisation als Ganzes auszubreiten, stösst man schnell auf Grenzen. Grund dafür ist, dass agile Methoden nicht mit jeder Organisationskultur kompatibel sind. Was in einer IT-Abteilung gut funktioniert, kann in anderen Bereichen der Organisation auf Strukturen und Prozesse stossen, die mit den agilen Prinzipien kollidieren. Beispiele dafür sind traditionelle Einkaufsrichtlinien, die häufig sehr schwerfällig und zentralisiert geregelt sind oder die oft genauso zentralisierte Finanz- und Budgetrichtlinien, mit Forecasts, die für die nächsten drei (oder in manchen Fällen sogar vier bis fünf) Jahren gemacht werden müssen.

Wäre es nicht praktisch, auf dieser langen ereignisreichen Reise der kulturellen Transformation mit all ihren unvorhergesehenen Überraschungen eine gute Landkarte, sowie einen geeigneten Reiseführer und Kompass zu haben?

Wir haben Methode X (insert as you like) perfekt eingeführt, warum funktioniert es nicht?

Ein häufiger Irrtum beim Einführen der sogenannten „Business Agility“ liegt in der Annahme, Prozesse könnten die Transformation steuern. Man denkt, wenn es der Organisation gelingen würde, Holacracy oder SAFe perfekt nach Schulbuch einzuführen, dann wären alle Probleme gelöst und die Organisation agil. Wenn es dann scheitert, so wird häufig angenommen, es liege daran, dass die gewählte Methode falsch war.

Wie kann uns das integrale Modell helfen?

Leider ist es nicht so einfach. Und bei dieser Erkenntnis fängt die eigentliche Arbeit an. Hilfreich auf dem Weg zu einem vertieften Verständnis ist das integrale Modell von Ken Wilber. Kombiniert mit Spiral Dynamics, auf das wir anschliessend kurz eingehen, dient es als Grundlage für die Landkarte, die dabei helfen soll, sich zu orientieren.

Das Bild zeigt die vier Quadranten des Modells.

Die linken Quadranten – Innen

Links sind die sogenannten „inneren“ Quadranten. Der Quadrant links oben repräsentiert das Innere des Individuums. Hier geht es um unsere persönlichen Werte, Gefühle, Haltungen, Gedanken, darum wer wir sind und sein wollen, unsere Ängste, unser Vertrauen.

Der Quadrant links unten steht für das Innere des Kollektivs, in unserem Fall der Gesamtorganisation. Hier geht es darum, wer wir als Organisation sein wollen, wie wir uns definieren, was für Visionen und gemeinsame Werte wir haben und ob und wie wir sie leben. Darum, welche Einstellung zur Arbeit wir haben, wie es um unsere Bereitschaft für Veränderung steht und was für eine Kommunikationskultur wir pflegen. Dies ist der Bereich in dem wir arbeiten, wenn es um kulturelle Zusammenführung zweier Organisationen oder Abteilungen oder um Veränderung und Weiterentwicklung geht.

Die rechten Quadranten – Aussen

Auf der rechten Seite sind die „äusseren“ Quadranten. Rechts oben ist das Äussere des Individuums. Hier geht es um das Verhalten, die Fähigkeiten, die äussere Erscheinung, das Auftreten, um unser Selbstmanagement, sowie Führungs- und Konfliktverhalten, darum, wie uns die Aussenwelt wahrnimmt.

Der Quadrant rechts unten repräsentiert das Äussere des Kollektivs. Hier geht es um die Organisationsform, das Geschäftsmodell, die Struktur der Organisation, die Prozesse, den Umgang mit Finanzen und Ressourcen, die eingesetzen Technologien, Prozesse und Methoden. Ähnlich wie oben, steht er dafür, wie wir als Organisation von aussen wahrgenommen werden.

Eingesetzte Methoden müssen passend sein zur Kultur

Wir erkennen auf der Grafik, dass Methoden, Strukturen und Prozesse rechts unten hingehören. Die Entscheidung, eine agile Methode einzusetzen und die Wahl, welche am Besten geeignet ist, gehören also in diesen rechten unteren Quadranten. Die Einführung und Umsetzung der gewählten Methode wird jedoch nur gelingen und nachhaltig sein, wenn die Kultur der Organisation es zulässt oder dahingehend entwickelt wird. Diese innere Ausrichtung gehört in den linken unteren Quadranten.

Die Erfahrung zeigt, dass  alle vier Quadranten, gleichermassen berücksichtigt sein müssen – soll die Methode auch eine effektive Wirkung zeigen. Nur dann wird den in unserer Firmenkultur häufig vernachlässigten „Soft Facts“ der linken Quadranten der gebührende Wert beigemessen.

Wird diesem grundlegenden Aspekt der Balance von innen und aussen zuwenig Respekt gezollt, führt dies dazu, dass viel Sand im Getriebe ist, das agile „Projekt“ nicht vorankommt und in vielen Fällen irgendwann aufgegeben wird. Unter dem Motto „es funktioniert halt doch nicht“.

Ein Beispiel

In der Realität gibt es viele Variationen und unterschiedliche Abstufungen. Das folgende Beispiel beschreibt auf plakative Art, was täglich passiert.

In einer Firma wurde vor einigen Jahren Scrum in der Software-Entwicklungsabteilung eingeführt. Es bewährte sich gut, so dass manScrum in weiteren IT-Teams einführte. Als auch dieser Schritt sehr erfolgreich war, wurde der Ruf laut, diese Methode auch in anderen Unternehmensbereichen einzuführen, um die gesteigerte Effektivität auf die Gesamtorganisation auszudehnen.

Gesagt, getan. Da gab es aber viele Abteilungen, die sehr traditionell und eher konservativ aufgestellt waren. Klare Hierarchien, strikte Regeln, komplizierte und langwierige Prozesse, krasse Massnahmen bei Fehlern oder Nichtbefolgen der Anweisungen, Belohnung der Gehorsamen – wir kennen das. Menschen, die in solchen Strukturen arbeiten, sind es gewohnt, Befehle entgegenzunehmen, nichts zu hinterfragen, keine eigene Meinung zu haben und einfach abzuarbeiten, was auf ihrem Schreibtisch oder in ihrer Inbox landet. Sie denken nicht mit und sie fühlen sich für das Resultat nicht verantwortlich.

Dann kommt plötzlich – vielleicht eingeläutet durch einen Wechsel in der Geschäftsleitung – die Anweisung, die Organisation als Ganzes agil zu machen. Die erfahrenen Scrum Leute, sollen Scrum, das sie in der IT-Abteilung erfolgreich eingeführt hatten, nun auch Abteilungen einzuführen, wo unter komplett anderen Bedingungen gerarbeitet wird. Nach ersten Informationsseminaren werden für diese Mitarbeitenden vertiefte Scrum Ausbildungen durchgeführt.

Von diesen Mitarbeitenden, die jahrelang darauf getrimmt waren, weder zu denken, noch Eigenes einzubringen, wird jetzt erwartet, dass sie den Kippschalter betätigen und über Nacht agil werden. Von einem Tag auf den anderen sollen sie verstehen, wie kreativ es sein kann, wenn offen kommuniziert wird, sie Feedback geben dürfen und solches (explizite Wertschätzung inklusive) erfahren, wenn sie Entscheidungen treffen und Fehler passieren dürfen, wie es sich anfühlt, verantwortlich zu sein für die Schritte und Resultate, die sie zusammen mit ihren Teams erarbeitet und entwickelt haben.

Der vielzitierte Mindshift – von innen nach aussen

Kulturelle Transformation meint die Bewegung von innen nach aussen, steht für den vielzitierten Mindshift, und die Erklärung sieht man in dem Bild mit dem Quadrantenmodell.

Mindshift in der Organisation heisst:

  1. Sich als Organisation bewusst zu werden, wo man steht (Landkarte – Sie sind hier!).
  2. Gemeinsam zu definieren, wohin man will.
  3. Einen organischen Weg zu finden, sich als Gesamtorganisation dorthin zu bewegen.

Bei dieser Betrachtungsweise wird klar, dass es nicht immer dieselbe Methode ist, die am besten zum Ziel führt. Die Wahl der Massnahmen, die für eine Weiterentwicklung notwendig sind, hängt davon ab, wo man heute steht. Das oben beschriebene konventionelle Team braucht zunächst einmal Ausbildung im Bereich der Persönlichkeitsentwicklung und Kommunikation, um so befähigt zu werden, sich in dieser neuen, agilen Kultur überhaupt zu bewegen und bewähren zu können.

Zielsetzungen für eine Organisation zu definieren heisst in einer agilen Welt, sie gemeinsam zu erarbeiten. Nichts wird mehr von der Geschäftsleitung von oben nach unten und undiskutiert verordnet. Und je nachdem wo die Geschäftsleitung heute steht, braucht es auch auf dieser Ebene Weiterbildung, Persönlichkeitsentwicklung und bewusstes Umdenken.

Spiral Dynamics schafft Durchblick

In der ganzheitlichen Betrachtungsweise wird nun für das Erstellen der Landkarte und der nächsten Schritte Spiral Dynamics beigezogen und über die Quadranten gelegt. Spiral Dynamics ist ein sehr differenziertes Verständnismodell mit dem auch Ken Wilber arbeitet. Es beschreibt die Entwicklung menschlichen Bewusstseins, wurde ursprünglich vom Psychologen Claire Graves entwickelt und findet heute vielseitigen Einsatz im Organisationsumfeld. Dabei werden sogenannte Entwicklungslinien über die Quadranten gelegt.

Betrachten wir zum Beispiel die Werte im linken unteren Quadranten. Wie gehen wir als Organisation z.B. mit Loyalität um und was bedeutet für uns Loyalität? Sind wir unserem Chef zur Loyalität verpflichtet oder unserer Abteilung? Sind es „wir gegen alle anderen“ oder sind wir der Organisation als Ganzes verpflichtet? Oder gehören wir zu einer grösseren Gemeinschaft und fühlen uns sozialen und nachhaltigen Werten verpflichtet, die wir für nichts, auch nicht für unsere Organisation opfern würden?

Dieses Beispiel zeigt auch auf, wie es etwa innerhalb eines Teams schnell zu Missverständnissen und Streit führen kann, wenn Loyalität nicht gemeinsam definiert wurde und Teammitglieder unterschiedliche Auffassungen von Loyalität haben. Jeder denkt dann, der andere sei nicht loyal.

Als weiteres Beispiel aus dem linken unteren Quadranten können wir den Umgang mit Finanzen nehmen. Investieren wir in Strukturen und Technologien, oder eher in Wachstumspotentiale, in nachhaltige Unternehmenswerte, oder gar in Zukunftspotentiale?

Solch spezifische Themen, die man detailliert anschaut, nennt man Entwicklungslinien. Pro Quadrant gibt es ganz viele Möglichkeiten. Es werden jeweils diese Themen und Linien gewählt, die für die aktuelle Situation eine hohe Priorität haben.

Die Landkarte nutzen

Wollen wir das Modell als Landkarte benützen, definieren wir einige für die aktuelle Fragestellung relevante Entwicklungslinien und betrachten, wie wir damit umgehen. Das zeigt uns auf, wo wir stehen. Die Landkarte zeigt dann an, wie die nächsten sinnvollen Schritte auf dem Weg aussehen könnten.

Das integrale Modell von Ken Wilber, verbunden mit dem Verständnis für Spiral Dynamics bietet eine vielseitige, vollständige und differenzierte Landkarte. Sie ermöglicht uns, sich vor und während einer kulturellen Transformation zu orientieren und die sinnvollen nächsten Schritte zu gestalten. Das verfeinerte Verständnis für Veränderungen in Organisationen hilft, gezielte und nachhaltige Veränderungsimpulse für Individuen, Teams und ganze Organisationen zu setzen.

Reiseführer zur Landkarte

Wer sich in mit diese spannenden Themen vertiefen möchte, hat die Möglichkeit, unser Grundlagenseminar Innovations-Coaching zu besuchen. Es vermittelt erfahrungsbasiert, wie man Organisationen neu sehen und bewusster gestalten kann. Es wird in drei Modulen à drei Tagen angeboten, führt in die Grundlagen der Modelle ein und zeigt auf, wie sie in einer Organisation umgesetzt werden können.

Am 9. Juni 2020 findet der nächste 1-Tagesworkshop mit dem Titel „Business Agility – eine integrale Entdeckungsreise“ statt, der eine gute Übersicht über die hier besprochenen Inhalte darstellt und ausgiebig Raum für vielseitige Diskussionen bietet. Er kann auch als Firmenkurs gebucht werden und findet zur Zeit Online statt.